Geschichten aus dem Steinreich
Zum 10. Geburtstag des Steinreichs am 21. April 2020 haben mein Mann Franz und ich ein wenig in der Erinnerungskiste gekramt. Die kleinen Geschichten, die dabei herauskamen präsentiere ich euch hier.
Eventuelle Ähnlichkeiten mit tatsächlich existierenden Orten oder Personen sind übrigens nicht zufällig.
Viel Spaß beim Lesen!
„Wie alles begann“ oder „Das Krippsche“
Genau heute vor 10 Jahren habe ich das Steinreich als Gewerbe angemeldet.
Im Herbst des Vorjahres hatten wir durch einen Zufall die Hersteller unserer wunderbaren Steinfiguren kennengelernt und beschlossen, einen ersten Verkaufsversuch auf dem Weihnachtsmarkt im Nachbarort zu starten.
Also haben wir uns eine offene Hütte gemietet, Stroh beim Bauern im Dorf geordert und Drachen, Gargoyles und Tierfiguren weihnachtlich auf Stroh und Tannenzweigen mit Lichterketten dekoriert. Gemütlich sah es aus und irgendwie schon da mittelalterlich, das war ja auch unser Ziel.
Es lief super – an uns vorbei! Lohn waren viele „Oh!“ und „Ah!“ und „Das ist aber schön!“, das eingenommene Geld hat aber gerade so für die Standmiete gereicht. Seltsam fanden wir schon, dass wir so wenig verkaufen konnten. Am Nachmittag des dritten und letzten Markttages bekamen wir aber wenigstens so etwas wie eine Erklärung dafür.Opa schob Oma mit den Worten an unserem Stand vorbei „Ei gucke mal, ä Krippche!“
Ähm, ja, … Ich denke, an unserer Warenpräsentation müssen wir noch arbeiten.
[Autor: Sandy]
„Nur Blinde sehen mit den Fingern“
In unserem ersten Jahr durften wir unter anderem an einer Burgbelebung in der Eifel teilnehmen. Schön war es: Tolle Stände, gute Organisation, wunderschönes Ambiente!
Besonders authentisch war der Fackelzug durch den Ort, der die Vertreibung des Burgherren durch die Bauern nachempfinden sollte. Vielleicht hätte man die Dorfbewohner besser darüber informieren sollen. Ich glaube, die dachten, wir würden ernst machen. Anders kann ich mir die leeren Gassen, flüchtenden Gestalten und die hastig zugeschlagenen Fenster und Türen bis heute nicht erklären. Das aber nur nebenbei.
Am Stand hatte ich Preise und Hinweise mit weißem Lackstift auf Schieferstücke geschrieben. Wer mich kennt, weiß, dass ich es noch nie leiden konnte, wenn jeder alle Figuren begrabbelt und anheben muss. So stand da auch ein Schild mit dem dezenten Hinweis „Nur Blinde sehen mit den Fingern.“
Nun kam ein älterer Herr sehr interessiert an den Stand, fragte nach, gab sein Wohlwollen zur einen oder anderen Figur kund, sah das Schild und fragte voller Bewunderung: „Und das haben alles Blinde gemacht?“ „Nein!“ antwortete Franz im Brustton der Überzeugung „Nur die Schilder haben Blinde gemalt.“ Das schien dem Herren dann auch einleuchtend: „Ja, klar! Ich dachte schon …“
Ich glaube, Opi erzählt seinen Enkeln heute noch von der Burg, auf der die Blinden Schilder malen.
[Autor: Sandy]
„Das sprechende Pferd“
Es begab sich etwa im zweiten Jahr des Steinreichs, dass wir an einem kleinen, feinen Markt auf einem Pferdehof teilnehmen durften. Hier gab es alles, sogar Waschräume und Toiletten, was für Marktteilnehmer schon fast Luxus ist.
Als ich nun Samstag morgen auf dem Weg zu eben diesen Toiletten war, kam ich an einer kleinen Koppel vorbei, auf der ein weißes, hübsches Pferd stand. Ich dachte mir, schlaftrunken wie ich war, bin ich mal freundlich, und sagte verschlafen : “Guten Morgen, Pferd!“ Überraschenderweise kam als Antwort ein freundliches “Guten Morgen, Mann!“ eindeutig vom Pferd. Nun weiß jeder, der mich kennt, dass ich keinen Alkohol trinke, also konnte es daran nicht liegen. Ich sagte verdutzt zu dem Pferd: „Du kannst gar nicht sprechen!“ Worauf das Pferd erwiderte: „Dafür kannst du nicht wiehern!“ Nun zweifelte ich komplett an meinem Geisteszustand. Glücklicherweise tauchte hinter dem Pferd dann ein Pferdepfleger auf, der dem Tier die Hufe gesäubert hatte und vorher für mich nicht zu sehen war.
Meine kurze Schockstarre löste sich und ich konnte, geistig relativ fit, meinen Weg fortsetzen. Jeden Gaul grüße ich seit dem aber nicht mehr.
[Autor: Franz]
„Der beste Preis“
Irgendwie gehört das Handeln und auch Verhandeln ja auf einen echten Mittelaltermarkt. Für uns Händler wär das zwar einfacher, wenn auch Finanzamt, Krankenkasse, Versicherungen usw. mit sich handeln ließen, aber ein kleiner Rabatt für nette Leute und gute Kunden ist in der Regel drin. Manchmal sollte man als Kunde aber auch wenigstens ganz kurz darüber nachdenken, wie man eine solche Preisverhandlung geschickt beginnt.
Einmal kam eine schon recht alte kleine Dame an unseren Stand. Graue Haare, Gehstock, etwas gebeugt – eine richtig knuffige Omi! Sie interessierte sich vor allem für eine unserer hängenden Steinfiguren für 69 €.
Franz ging auf die Dame zu, um ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Nun war die Omi wirklich sehr klein, so dass sie sowohl zu der Figur als auch zu Franz aufschauen musste. Ganz wichtig zeigte sie mit wippendem Zeigefinger auf die Figur und fragte: „Sagen Sie mal, junger Mann! Was ist denn da Ihr maximalster Preis?“
Franz machte sich die Entscheidung wirklich nicht leicht. Nachdenklich betrachtete er abwechselnd die Figur und die Dame, um dann zu antworten: „Also wissen Sie, mehr als 180 € kann ich Ihnen dafür guten Gewissens nicht abnehmen.“
Ich hatte kurz Angst, die Dame fällt hinten über. Sie fing sich aber schnell wieder und wiegelt ab: „Nein, nein, ich meine doch den minimalsten Preis!“ „Ach so! Ja, der steht dran!“
[Autor: Sandy]
„Dosenfutter“
In 10 Jahren Marktfahrerei hatten wir auch gar seltsame Besucher an unserem Stand.
Einst standen wir auf einem schönen Markt in einem alten Steinbruchgelände. Zu dieser Zeit haben wir über dem Feuer frisch gekocht. So war ich gerade dabei, Fleisch für unser geplantes Gulasch im Topf anzubraten. Sandy saß ein Stück weiter weg und töpferte.
Es war sehr ruhig auf dem Markt. Umso überraschter war ich, als ich aufblickte und „Familie Flodder“ auf mich zukommen sah. Original wie in dem Film: Mutter und vier oder fünf Kinder ohne Zähne, allesamt in Jogginghose und teilweise Flip-Flops, ungewaschene Haare und, bis auf eine Tochter, die fast ein wenig gepflegt aussah, alle ziemlich abschreckend. Eben jene, fast gepflegte Tochter -übrigens die einzige, die über ein anscheinend vollständiges Gebiss verfügte- stellte sich nun vor meinen Topf und sagte: “Das riecht aber gut! Was wird denn das?“ Worauf ich nicht ohne Stolz antwortete: „Wenn das fertig ist, wird das Gulasch!“
Nun war Mutter Flodders Auftritt! Sie schaute kurz in den Topf und meinte abwertend: “Na, wenn ich Gulasch mache, sieht das aber ganz anders aus!“ Woraufhin von Sandy spontan die Antwort kam: „Klar! Wenn man so ’ne Dose aufmacht, ist da auch immer gleich Soße mit drin!“
Mutter Flodder verschwand umgehend mit ihrem Gefolge.
Unser Gulasch schmeckte übrigens hervorragend – mit Soße und ohne weitere blöde Kommentare.
[Autor: Franz]
„Dorfleben“
Wie ihr wisst, töpfere ich auch mit Kindern. Auf vielen Märkten wird dieses Angebot auch sehr gerne und gut angenommen. Viele Kinder sind echte „Wiederholungstäter“ und wenn man sich ja schon kennt und gemeinsam arbeitet, erzählen mir einige der kleinen Künstler ihre ganze Lebensgeschichte. So ergab sich auch das folgende kleine Gespräch.
Die Neunjährige freute sich ganz besonders mich zu sehen und töpfern zu können, da ihr Besuch des Marktes wohl durch einen Umzug bis zum Schluss sehr unsicher war. Sie erzählte mir, dass sie jetzt von der Stadt in ein Dorf gezogen wären.
„Und wie gefällt es dir auf dem Dorf?“ hakte ich nach.
„Eigentlich ganz gut. Mein Pferd steht jetzt auf einer Wiese gleich nebenan und ich kann es jeden Tag sehen.“
„Und die Schule?“ „Ach, ich fahre jeden Tag mit dem Bus in meine alte Schule. Das ist auch ganz okay. Wenn ich nach den Sommerferien aufs Gymnasium gehe, muss ich ja sowieso fahren.“
„Und wie sind die Leute so? Hast du schon Freunde?“ ließ ich nicht locker.
Die Antwort darauf bedarf ganz offensichtlich einer gründlichen Überlegung. Man sah der Kleinen genau an, wie sie versuchte, ihre Aussage für mich in verständliche Worte zu packen. „Ich will mal so sagen: Also die Omas, die sehen alle gleich aus!“
Ihr glaubt gar nicht, wie schwer es mir fiel, nicht laut loszuprusten! Ich weiß nämlich ganz genau, wovon die Kleine sprach. 😉
[Autor: Sandy]
„Standkatze“
Ich liebe Katzen und hab ja zuhause auch so knuffige Stubentiger. Vielleicht spüren Katzen das, denn an unserem Stand hat sich schon öfter so ein Miniraubtier sehr wohl gefühlt. Unvergessen bleibt allerdings, die kleine Mieze, die sich auf einem unserer ersten Märkte bei uns eingeschlichen hat.
Auf einmal war sie da, die kleine Glückskatze. Vielleicht lag es an dem leckeren Fleisch, das ich uns gerade zum Mittag geholt hatte, bestimmt aber daran, dass Franz sein Essen brüderlich mit ihr teilte. Auch als die Teller leer und Franz bestimmt noch hungrig war, wich sie uns, vor allem Franz, nicht mehr von der Seite. Sie ließ sich streicheln, nutzte ganz selbstverständlich unseren Hundenapf und lag für ein Schläfchen völlig entspannt zwischen Drachen und Gargoyles.
Auch ein Besucher mit einem recht stattlichen Schäferhund interessierte sich für unsere Waren. Hund und Herrchen begutachteten in Ruhe und ausgiebig alle Figuren. Katze lag noch immer entspannt zwischen den Figuren – bis ihr wohl der große Hund, der sie bis dahin noch gar nicht wahrgenommen hatte, zu aufdringlich wurde. Katze sprang laut fauchend auf und der Hund vor Schreck mit allen vier Pfoten fast einen halben Meter hoch.
Den Kunden hatten wir leider verloren, sein Hund war einfach nicht mehr dazu zu bewegen, näher als drei Meter an unseren Stand zu kommen. Mieze hatte ihr Aufgabe als Wachkatze erfolgreich erledigt, rollte sich zusammen und schlief weiter.
Das ganze Wochenende hielt sich die Süße eigentlich immer in unserer Nähe auf. Am Sonntagnachmittag präsentierte sie uns sogar ihr Baby, ein kleines rotes Katerchen.
Leider gab es in diesem Ort keinen weiteren Markt. Ich wüsste zu gern, wie es den beiden heute geht.
[Autor: Sandy]
„Wir können auch Städte“
Einst waren wir, wie bis dahin jedes Jahr, auf einem wunderschönen Markt in Friedberg, der zugunsten der örtlichen Burgkirche durchgeführt wurde.
Meine Frau hatte eine große Schale getöpfert, auf der außen mehrere Fachwerkhäuser zu sehen waren, so dass der Eindruck einer kleinen Stadt entstand. Das Innere der Schale war als eine Art Steingarten bepflanzt. Optisch sehr ansprechend stand diese Schale nun auf diesem Markt zum Verkauf.
Nun begab es sich, das zwei ältere Damen eben diese Schale bewunderten. Eine der beiden fragt mich interessiert, was das denn sei. Ich antwortete, leicht verwirrt, weil man es ja deutlich sehen konnte, dass es eine Schale sei.
„Ich meine, das alles. Was ist das?“ So richtig war mir noch immer nicht klar, was sie von mir wollte, also versuchte ich es mit: „Ein Steingarten.“
Das war wohl noch nicht die erwünschte Auskunft, denn die Dame hakte nach: „Ich meine das außenrum. Was stellt das dar?“ – „Ähm,… Häuser, also eine Stadt.“ Auch das konnte man eigentlich deutlich sehen.
So ganz zufrieden war sie noch immer nicht mit meiner Antwort. „Ich meinte, ist das Friedberg?“ Okay, wenn sie darauf besteht! „Ja, heute ist das Friedberg!“ antwortete ich also völlig wahrheitsgemäß, worauf sie wissend nickte und sagte: “Ja, das dachte ich mir doch.“ Ihre Freundin aber konnte sich ein Lachen kaum verkneifen, und auch ich musste an mich halten.
Gekauft hat die Schale dann allerdings auf genau diesem Markt jemand, dem relativ egal war, welche Stadt das ist. Und dabei haben sich meine Frau und vor allem ich uns doch mit der Darstellung von Friedberg so eine besondere Mühe gegeben!
[Autor: Franz]